Einführung in eine Einführung

© Dorn Music

Text von Jan Lisiecki 

Im Regelfall konzentriert man sich als Künstler im Konzert völlig auf den gegenwärtigen Moment. Mit den Präludien stellt sich jedoch immer ein Gefühl der Vorausschau, der Vorbereitung und des Ausblicks auf das nächste Stück ein. Traditionellerweise und per definitionem bereitet ein Präludium den Hauptvortrag vor, indem es eine bestimmte Grundstimmung erzeugt. Kann ein Klavierabend also ausschließlich aus solchen Einführungen bestehen, von denen eine direkt in die nächste überleitet, und trotzdem tiefgehend sein?

Chopin, ein Meister der Kurzform, brachte das Präludium aus dem Schatten ins Rampenlicht. Er machte sich das kompakte Format und die flexible Form der Stücke zunutze, um ihr atmosphärisches Potential voll auszuschöpfen. Die Sammlung der 24 Préludes op. 28 ist ein wahres Farbspektrum an Emotionen und bedient sich dazu aller 24 Tonarten.

Die Präludien lassen hier nicht nur das folgende Meisterwerk vorausahnen, sie werden zum Fokus, und in jedem einzelnen, noch so kurzen Stück hat Chopin seinen melodischen Gedanken vollständig entfaltet.

Sicherlich entsteht hier das Gefühl, dass jedes Präludium in das nächste übergeht, und es gibt sogar einige Andeutungen in der Partitur, die sich über mehrere Einzelstücke hinweg erstrecken. Dennoch können diese Werke auch aus dem Zusammenhang genommen werden. Im Falle von Chopins Prélude op. 28 Nr. 15, die Sie zweimal innerhalb des Programms sehen, möchte ich aufzeigen, dass sie als eigenständiges Stück eine andere Funktion hat als als Teil eines Gesamtwerkes (in diesem Fall die Reihe der Préludes op. 28).

Chopin hat das Prélude mit der erwähnten Reihe neu erfunden, aber auch andere Komponisten haben diese offene musikalische Form eingehend beleuchtet und persönlich geprägt. In diesem Programm möchte ich die vielfältigen Möglichkeiten des bescheidenen Präludiums von Bach bis Górecki aufzeigen, das Publikum auf eine musikalische Entdeckungsreise mitnehmen und die eingangs gestellte rhetorische Frage mit einem nachdrücklichen “Ja” beantworten.

 

Folgen Sie Jan Lisiecki in den Prélude-Kosmos am 19.2.2024 um 20 Uhr in der Alten Oper Frankfurt.